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PM 81/21: Vom Adventskranz und der Flucht - offene Jugendarbeit einmal anders

Ein weihnachtlicher Erfahrungsbericht der Hadamarer Stadtjugendpflegerin Nicola Bischof

Symbolbild: Hans (Pixabay)

Pressemitteilung 81/2021 vom 17.12.2021

HADAMAR. Es war ein ganz normaler Werktag im Advent, als die 13- und 14-jährigen Freunde wie täglich ins städtische Familienzentrum kamen, um der Jugendpflegerin von ihren Erlebnissen aus der Schule und einer auf dem Nachhauseweg als bedrohlich empfundenen Begegnung mit einem Hund zu berichten.

Man saß am Tisch um die brennenden Kerzen des Adventskranzes herum und zu Frau Bischofs Überraschung wusste niemand auf Nachfrage, wie man den Kranz nennt, was die Anzahl der Kerzen zu bedeuten hat und weshalb aktuell 3 davon brennen.

Die Jugendlichen hörten der Erklärung der Jugendpflegerin interessiert zu und schauten zur Sicherheit doch noch mal in ihrem Smartphone nach, was Advent wirklich bedeutet. Nach der Erläuterung des Adventskranzes folgte die des Adventskalenders. Seine Lehrerein habe „letztens“ für jeden in der Klasse ein Geschenk mitgebracht, es dürfte aber jeden Tag immer nur ein Schüler/eine Schülerin ein Päckchen aufmachen. Er sei die Nummer 6 gewesen. Frau Bischofs Hinweis, dass er ja dann letzten Montag dran war, rief bei beiden ein irritierendes „voll krass“ aus und die Vermutung, sie verfüge über hellseherische Fähigkeiten. Es folgte also die Erklärung bzgl. der Nummern auf den Päckchen, was den vor 7 Jahren aus einem Krisengebiet mit seiner Familie Geflohenen an seine eigene Ankunft in Deutschland und seiner damit verbundenen ganz persönlichen Adventskalendererfahrung erinnerte. 

Er kam aus dem Lachen nicht mehr heraus, als er von seinem ersten Besuch in einem deutschen Discounter erzählte. Sein Freund und er hätten sich etwas Süßes kaufen dürfen und „da lagen bei der Schokolade so große bunte Schachteln mit Nummern drauf“. Da diese mit 50%-Rabatt ausgezeichnet gewesen seien, habe jeder gleich 2 gekauft. Vor der Tür des Lebensmittelmarktes hätten sie sich dann auf einer Bank die Schokolade aus den Kästchen genüsslich schmecken lassen und komische Blicke und Kopfschütteln vorbeikommender Menschen geerntet.

Über den Advent kam die Sprache dann auf das Weihnachtsfest. Wie unterschiedlich dieses auf der ganzen Welt und selbst in unserer Stadt und in unserer Straße in den Familien gefeiert wird, überraschte nicht nur die Jugendlichen. Während die einen traditionsgemäß vom Wichtel beschenkt werden, bedauern andere, dass es an Weihnachten immer so langweilig sei, da die Geschäfte alle zu haben und viele der Freunde bei ihren Verwandten zu Besuch seien.

Dass wir an Weihnachten eine Geburt feiern, darüber waren sich alle einig. Und so verschieden die Menschen sind, so verschieden darf auch gefeiert werden. Dass auf zurückliegenden Weihnachtsfeiern die Glückwünsche zur Geburt Jesu´ auch schon mal von Jugendlichen gerappt oder in Hiphop-style performt wurden, konnten sich die Gesprächsteilnehmer nur schwer vorstellen. Obwohl sie zu Hause selbst kein Weihnachten feiern, würden beide für diesen Tag dann doch lieber traditionelle Weihnachtslieder bevorzugen. Weshalb? „Keine Ahnung, passt irgendwie besser, ist irgendwie festlicher…, halt so“. Und dann nahm „halt so“ der einst völlig anders geplante offene Jugendtreff-Nachmittag mit dem spontan gemeinsam gesungenen „Am Weihnachtsbaume, die Lichter brennen“ seinen Lauf. Der besungene Weihnachtbaum erinnere ihn an „Willi“, der immer sehr, sehr nett gewesen sei und seiner Familie, als sie vor 7 Jahren als Fremde nach Deutschland kamen, sehr viel Gutes getan hätte. Jetzt glänzten nicht nur die Lichter am Baum, sondern auch die Augen des 14-Jährigen, der versuchte, seine Tränen zu unterdrücken. Und dann erzählte er detailliert von seiner damals 21 Tage dauernden Flucht und dem langen Weg in eine für ihn neue Welt.

Nun wird er sich vor Weihnachten noch einmal auf den Weg machen. Diesmal gemeinsam mit Frau Bischof und seinen zwei besten Freunden. Auf den Weg, um Willi zu finden, in der Hoffnung, bei ihm anzukommen.    

Michael Ruoff, Bürgermeister